Interview Pablo Larraín
WIE HABEN SIE SICH DEM THEMA, DER FIGUR PABLO NERUDA GENÄHERT?
Wir sehen und empfinden Pablo Neruda als einen Künstler, einen Schaffenden, der so komplex und weitreichend ist, praktisch unendlich, dass es unmöglich ist, ihn in eine einzige Kategorie zu packen und einen Film mit dem Anspruch zu machen, diese Persönlichkeit oder seine Arbeit kompakt und im Schnelldurchgang darzulegen und zu definieren. Aus diesem Grund haben wir die Geschichte der Flucht, der Fahndung und der literarischen Legende gewählt. Für uns ist „Neruda“ ein „Anti-Biopic“, ein Biopic, das keines ist. Wir haben uns entschieden, einen Film mit spielerischen und erfundenen Elementen zu machen, in einer Weise, dass das Publikum Neruda ein Stück seines Weges begleiten und so in seine Dichtung, seine Erinnerung und seine kommunistische Ideologie hineintauchen kann.
WARUM WOLLTEN SIE KEIN KONVENTIONELLES BIOPIC MACHEN?
Biopics sind eine gefährliche Sache, denke ich. Ich habe vier Biografien über Neruda gelesen, unzählige Essays, seine Autobiografie, ich habe mit Leuten gesprochen, die ihn gekannt haben, ich habe einen Film gemacht, der „Neruda“ heißt. Und ich kann Ihnen nicht sagen, wie Neruda wirklich war. Er ist nicht zu fassen, es ist nicht möglich, ihn in eine Schublade zu stecken. Der Kosmos, den er geschaffen hat, ist unermesslich. Neruda hat über ganz verschiedene Dinge auf vielfältige Arten und Weisen geschrieben, sein Werk ist ungeheur komplex und tief und vielschichtig. Wenn man das einmal verstanden hat, gibt einem das eine große Freiheit.
WIE SEHEN SIE DAS SPANNUNGSVERHÄLTNIS VON NERUDAS KÜNSTLERISCHEM SCHAFFEN UND DEN POLITISCHEN EREIGNISSEN IM CHILE DER SPÄTEN 40ER JAHRE?
In der Zeit, in der er abgetaucht war, hat Neruda einen großen Teil des „Canto General“ geschrieben, das vielleicht sein bedeutendstes, komplettestes und riskantestes Buch ist, inspiriert von allem, was er sah und erlebte während seiner Flucht. Sein Schreiben ist voller Wut und Einbildunskraft, voller furchtbarer Träume. Es ist eine allumfassende, kosmische Beschreibung Lateinamerikas in der Krise, voller Zorn, Verzweiflung und Zärtlichkeit. Neruda schuf ein politisches Werk über Krieg, Wut und Dichtung, während er selbst auf der Flucht war. Das hat uns die Tür zu freier Imagination geöffnet. Ähnlich wie uns das bei Neruda und seinem Werk begegnet ist, will der Film aus einer filmischen und literarischen Perspektive eine Sphäre schaffen, in der Kunst und Politik sich durchdringen. Wir haben uns zum Beispiel bewusst dafür entschieden, uns weniger auf seine Liebesgedichte zu konzentrieren, die bis heute überall auf der Welt berühmt sind, sondern auf die Gedichte, die Wut und Zorn in sich tragen, die Politik und Ideologie mit Poesie verbinden.
SIE ZEIGEN NERUDA AUCH IM WIDERSPRUCH ZWISCHEN POLITISCHER ÜBERZEUGUNG UND DEM EIGENEN LEBEN ALS BONVIVANT.
Neruda war ein großer Liebhaber guter Küche, des Weins, der Frauen, der Literatur – das im Film wegzulassen, wäre mir grausam vorgekommen. Und falsch. Der Widerspruch zwischen politischen Positionen und eigenem Leben musste vorkommen. Was Pablo Neruda gerade im Canto General geschafft hat, war, Chile aus der Poesie heraus zu beschreiben. Hätte er auf eine andere Weise gelebt, hätte er diese Gedichte vielleicht nicht schreiben können. Die Dichtung von Neruda ist auch ein Ergebnis seines Lebens.
DIE ÄHNLICHKEIT VON LUIS GNECCO MIT PABLO NERUDA IST VERBLÜFFEND. HAT DAS MASKENBILD VIEL DAZUBEIGETRAGEN?
Da Luis Gnecco eine Glatze hat, haben wir eine Perücke gebraucht, das war alles. Die große Herausforderung für Luis bestand darin, auf das Gewicht von Neruda zu kommen: Das war eine kleine Tragödie für ihn, denn seit ich ihn kenne, hat er immer mit seinem Gewicht gekämpft. Als ich ihn gefragt habe, ob er Neruda spielen wolle, hatte er es gerade geschafft, abzunehmen – und nun musste er für die Rolle wieder 25 Kilo zulegen. Ich bin sehr glücklich, dass er das gemacht hat, er ist fantastisch. Und nach dem Dreh hat er es geschafft, die Neruda-Kilos wieder loszuwerden.
WAS HAT SIE AN DEM MOTIV VON NERUDAS FLUCHT GEREIZT?
Pablo Neruda mochte Krimis – darum ist der Film als Road Movie mit dem Motiv der polizeilichen Ermittlung angelegt: Genres, die überraschende Wendungen einbeziehen, sich entwickelnde Charaktere und wie bei uns auch Elemente der Farce und des Absurden. Wir sehen die Landschaften und die Bewegungen in ihr als einen Prozess der Transformation, des Begreifens, der Illumination. Keiner endet hier so, wie er begonnen hat, weder der Jäger noch der Gejagte. Wir wollten eine Welt erfinden, so wie Neruda sich die seine erfunden hat. Unser Film ist wahrscheinlich weniger ein Film über Neruda als einer in seinem Geist – vielleicht ist er auch beides zusammen. Wir wollten einen Roman erzählen, von dem wir gerne hätten, dass Neruda ihn mit Vergnügen liest.