Interview Interview Luis Gnecco
WAS HAT ES FÜR SIE BEDEUTET, EINE LEGENDÄRE PERSÖNLICHKEIT WIE NERUDA ZU SPIELEN?
Die Antwort auf diese Frage hat für mich damit zu tun, was es überhaupt bedeutet, eine Figur zu spielen: Für mich bedeutet das eher, eine bereits gezogene Linie zu finden und ihr zu folgen, als diese Linie selbst zu ziehen. Eine Rolle zu spielen, bedeutet für mich, das ganze Material zusammenzubringen, um diese Linie zu finden und imstande zu sein, dieser Linie zu folgen und sie auch zu verändern. Es geht darum, einen Dialog herzustellen. Aus dieser Perspektive fühlt es sich für mich fast falsch an zu sagen: „Ich habe Neruda gespielt.“
Als ich gefragt wurde, ob ich die Rolle spielen wolle, sagte ich sofort zu – und bekam erstmal Angst. Allein die Idee, einen Zugriff auf das unermessliche Leben dieses Giganten zu wagen, versetzte mich in eine Art Schockstarre. Nachdem ich dann an der Oberfläche dieses einen Abschnitts des Lebenswerks Nerudas gekratzt hatte, um den es im Film geht, tauchte ich langsam wieder auf. Ich las das Drehbuch und bekam eine Ahnung von der Größe der Herausforderung. Ein Film, der nicht den Mythos dekonstruieren will, sondern den Protagonisten als Menschen aus Fleisch und Blut begreift. Neruda war immer widersprüchlich, so empfindsam, wie ein Mensch nur sein kann, sinnlich, hedonistisch – und gleichzeitig politisch denkend und aktiv. Brilliant und entschlossen, manchmal schwach, sogar oberflächlich.
WIE HABEN SIE MIT PABLO LARRAIN DIE FIGUR NERUDAS GESTALTET?
Pablo Larrain ist einer der Regisseure, die verstehen und damit vertraut sind, wie Schauspieler in eine Geschichte und eine Figur eintauchen, und die sogar voraussehen, wo wir vermutlich untergehen und wo wir wieder auftauchen werden. Jeder Tag auf dem Set bedeutete die Einladung, einen Stoff aus den Materialien zu weben, die man selbst mitgebracht hatte. Und dann webt man und webt nochmal ganz anders, bis ein Stoff entsteht, der überhaupt nicht so ist, wie man ihn erwartet hat. Mir hat es sehr geholfen, dass Pablo von Anfang an gesagt hat, dass er selbst auch kein vorgefertigtes Strickmuster für diesen Stoff habe. Es ging um die Bereitschaft, an diesem Stoff zu weben, und die Verabredung, dass es in diesem Prozess zwei brauchen würde, Schauspieler und Regisseur, die von der ersten bis zur letzten Masche involviert sind.
WARUM HABEN SIE IHRER INTERPRETATION SO VIEL HUMOR BEIGEGEBEN?
Es heißt, Neruda habe sehr viel Humor gehabt. Aber ich glaube nicht, dass meine Interpretation darauf angelegt ist. Unser Neruda hat Humor, wie andere Menschen auch, er verdaut, er geht aufs Klo, er lacht, er liebt gutes Essen, er kann ärgerlich werden: eben das, was jedem menschlichen Wesen eigen ist. Das Überraschende liegt vielleicht darin, dass wir diese Figur für einmal nicht auf einem Sockel sehen, sondern als einen, der sich benimmt wie wir alle.
WIR ERLEBEN NERUDA ALS EINEN, DER MITUNTER BARSCH MIT SEINEN EIGENEN GENOSSEN UMSPRINGT.
Es ist schwierig, manche Dinge zu erklären. Ich persönlich glaube, dass Neruda in der Zeit seiner Flucht, in den späten 40er Jahren, wie ein Rockstar war. Er hat seine Flucht zelebriert. Er lebte in einer anderen Dimension, er war ungeheur populär, er pflegte Umgang mit den größten Künstlern, mit Picasso, mit André Breton, er lebte im Universum eines Lebemanns. Ein Bourgeois, ein Kunstsammler – und gleichzeitig der kommunistischen Sache absolut ergeben. Er war beidem treu: der politischen Sache und seinem Hedonismus.
SIE KENNEN GAEL GARCÍA BERNAL SCHON VON PABLO LARRAÍNS „NO“. WIE HABEN SIE DIE ERNEUTE ZUSAMMENARBEIT ERLEBT?
Mit Gael zu arbeiten, ist immer eine erfrischende Erfahrung. Er ist unglaublich wandlungsfähig und ein unschätzbarer Schauspieler. Er hat es in diesem Film geschafft, vollständig in dem Spiel des Drehbuchs aufzugehen, in einer Figur, die durch die Worte des Dichters erschaffen wird, wenn der versucht, an seiner eigenen Legende zu bauen. Aber weder Neruda noch das Drehbuch konnten vorhersehen, wie sehr diese Figur, diese Fiktion an den Bruchstellen des Komischen und der Verzweiflung lebendig wird. Das hat Gael geschafft. Nur ein Schauspieler mit seinem Talent und seiner Erfahrung ist in der Lage, ein so subtiles und gewagtes Spiel mit derart gelassener Souveränität anzunehmen. Gael ist ein Schauspieler, der sein Handwerk versteht und genießt, der immer aufmerksam und überraschend ist. Ein intelligenter Schauspieler mit einem scharfsinnigen, unermüdlichem emotionalen Gespür. Es wird immer eine Freude für mich sein, mit ihm zu drehen, immer und immer wieder.
SIE HABEN ZUM ERSTEN MAL MIT MERCEDES MORÁN GERABEITET, DER GRANDE DAME DES ARGENTISCHEN KINOS.
Der Neruda, den ich hier porträtiere, ist in vielen Aspekten bestimmt von der Figur der Delia, der „Hormiga“ (Ameise), die Mercedes Morán geschaffen hat. Eine großartige Schauspielerin, die ganz ruhig arbeitet, in völliger Konzentration. Eine Schauspielerin mit enormen Ressourcen, die es schafft, noch die unscheinbarste Subtilität in einer Weise auszudrücken, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Wie sie die Delia spielt, die Malerin, die einen so großen Anteil daran hatte, den Dichter zu dem zu machen, was er war, ist unfassbar wahrhaftig und bewegend. Jeder Tag der Dreharbeiten war eine Masterclass in Sachen Zuverlässigkeit und Präzision vor der Kamera für mich. Ich weiß nicht, ob mein Ansatz, den Neruda zu spielen, der richtige ist – aber ich weiß, dass die unermüdliche, große Mercedes Morán ihn unendlich bereichert hat.